„Ich weiß noch nicht, was ich werden will, wenn ich mal groß bin“, sagte sie und blickte mit verwirrtem Blick auf ihre Zwanziger zurück.

Ich habe neulich mit KollegInnen gesprochen, über Beruf und Alltag und all die kleinen Aktivitäten, die ich meine Hobbies nenne. Alle waren angetan von meinen vielen Projekten, fanden es “total spannend” und drückten gleichzeitig ihre Verwunderung aus. Ich sei doch eigentlich schon zu alt für einige der Tätigkeiten. Ich habe es weggelacht, fand den Kommentar ok. Nun, Tage später, ploppt diese Aussage in meinem Kopf wieder auf und ich komme ins grübeln. Das Alter ist nur eine Zahl, ja, ja. Aber irgendwie dann doch nicht.

Als ich in meinen frühen Zwanzigern war, war alles Neu und Aufregend. Zwei größere Umzüge standen an, einer temporär, einer permanent – zumindest lebe ich immer noch hier. Der Einstieg ins Berufsleben stand bevor und an sich drehte sich alles darum, das wirkliche Erwachsenenleben kennenzulernen. Nicht nur die örtliche Umgebung war neu. Ich kannte niemanden, hatte keine Ahnung, was mir mein Studium in der Praxis bringen würde und war sowohl aufgeregt als auch eingeschüchtert. Doch wie wir alle schon recht früh lernen, Übung macht den Meister. Die eigenen Aufgabenbereiche machten von Tag zu Tag mehr Sinn und irgendwann war auch klar, was mir besonders viel Spaß macht. Ambitionen wuchsen in mir und der Drang, sich weiterzuentwickeln, dazuzulernen, für die Leistung belohnt zu werden, wurde stärker.

Gott, war das eine wichtige Zeit. Ich habe mich selbst neu kennenlernen dürfen, bin an Herausforderungen gewachsen und habe für mich entdeckt, was ich beruflich tun möchte. Das dachte ich zumindest.

Nur wenige Jahre später war ich schon in den späten Zwanzigern. Der erste Job bereits Teil meiner Geschichte und der Neue ist so viel bunter, gewaltiger und fordernder. “Jetzt bin ich angekommen”, dachte ich. Mein Leben drehte sich um den Job, Überstunden wurden zum Statussymbol und ich belächelte diejenigen, die ohne Unterstützung nicht in der Lage waren, ihre Zeit zu managen. Dort oben auf meinem eigenen Ross ging es mir eine Zeit lang sehr gut, bis mich eben dieses brutal und unerwartet vom Rücken schmiss. Was eben noch golden glänzte wurde zum Spiegel meiner Misere. Konnte man das eigene Leben Leben nennen, wenn man kaum noch Zeit zum Leben ließ?

Ich fand mich in einer Situation wieder, in der ich nicht mehr wusste, wohin mit mir. Alles, worauf ich hingearbeitet hatte, machte nun keinen Sinn mehr. Ich hatte das “Warum” vergessen, vielleicht sogar nie verstanden.

Nicht zu wissen, was man will, ist schrecklich. Von einem auf den anderen Tag fühlte ich mich verloren und die Wut auf mich wuchs. Ich wollte immer mehr und weiter und nochmal mehr. Das wurde mir so vorgelebt von Kolleg/innen, Führungskräften, Freund/innen. Natürlich musste ich dann auch danach streben. Doch die Erschöpfung steckte mir in den Knochen und der Gedanke, für immer in diesem Hamsterrad zu sein, nicht aussteigen zu können, machte mich fast wahnsinnig. Sollte es das schon gewesen sein?

Ich glaube es ist ziemlich leicht, sich mitreißen zu lassen. Vor allem, wenn man sich in einem komplett neuen Umfeld bewegt und man noch nicht genau weiß, welche Rolle einem am besten passt. Für mich war es selbstverständlich, mich anzupassen und die Ziele anderer als Möglichkeiten für mich einzustufen. Das tun, was erfolgreiche Menschen in meinem Berufsfeld getan haben, muss ja auch für mich funktionieren. Und ganz lange hat es ja auch für mich funktioniert.

Bis es das eben nicht mehr tat. Die Zwanziger waren quasi vorbei, die Klarheit darüber, was ich mit meinem Leben anfangen will, hätte also präsent sein müssen. Doch ich war so zerrissen wie eh und je. Wenn ich in meinen Dreißigern immer noch nicht weiß, was ich werden will, wenn ich mal groß bin, stimmt doch etwas nicht mit mir. Beinahe hätte ich alles hingeworfen und etwas neues gestartet, nur um das Gefühl zulassen zu dürfen, noch nicht alles zu wissen.

Es war gar nicht so einfach, sich einzugestehen, dass all das, was man erreichen wollte, gar nicht das war, was man erreichen wollte. Mein Ziel war es nicht stetig mehr und weiter zu kommen. Karriere und ein herausfordernder Job waren mir wichtig, für mich aber auch meine mentale Ausgeglichenheit. Doch es gab daneben eben noch viele andere Dinge, die ich über die Jahre ausgeklammert hatte, weil der Job wichtiger war. Nur zog dieses Argument nicht mehr. Mir wurde klar, dass ich Balance schaffen möchte. Nicht einfach nur Work-Life-Balance. Ich möchte die Art und Weise, wie ich mein Leben führe, wie ich es finanziere, wie ich es gestalte, anders machen. Für mich richtig machen. Und daran arbeite ich. Ich bin mitten drin.

Deswegen lache ich Kommentare über mein Alter und meine unpassenden Hobbies selbstsicher weg. Ich bin froh und dankbar darüber, all das aufzuholen, was ich mir verboten hatte, weil es mich von der großen Karriere abhalten könnte. Vielleicht bin ich ein Spätzügler in einigen Bereichen, aber das ist ok so. Besser spät als nie, oder? Und ist es nicht unglaublich wertvoll, dass ich für mich selbst verstanden habe, dass das Leben nicht nur aus Karriereleiter besteht, sondern vielen kleinen Aktivitäten, die meiner Seele guttun, mich kreativ fordern und etwas einnehmen, was ein Job niemals könnte?