Mein erstes Modul der einjährigen Coachingausbildung ist absolviert, die Müdigkeit steckt mir in den Knochen und ich kann es kaum abwarten, eine Nacht darüber zu schlafen, ohne am nächsten Morgen wieder im Raum stehen zu müssen, bereit, noch mehr Input aufzunehmen.
Ich fühle mich erschlagen, auf zwischenmenschlicher Ebene leergesaugt und es fällt mir schwer, die Augen offenzuhalten. Es ist aber noch zu früh um schlafen zu gehen. Das Wochenende muss noch ein paar Stunden bestehen, bevor die neue Woche beginnt. Eigentlich könnte ich jetzt ein richtiges Wochenende gebrauchen, mit viel Alltag, Normalität und Nichtstun. Doch das muss nun warten.
Wenn ich über die vergangenen zwei Tage nachdenke wird mir klar, wie viel ich erlebt habe. Eine völlig neue Situation hatte auf mich gewartet, ganz weit weg von meinem normalen Leben. Ich wurde zurückversetzt in meine Schul-und Studienjahre. Das erste Mal die Mitschüler und Kommilitonen kennenlernen. Das Hoffen vorher, Anschluss zu finden. Aber auch das Bewusstsein darüber, wieder ganz viele Informationen vermittelt zu bekommen, mehrere Stunden zuzuhören und so viel wie möglich mitzunehmen. Es war viel. An allen Fronten.
Was ganz präsent ist, ist die Feststellung, dass ich bereits jetzt viel gelernt habe. Das Wissen ist noch ganz frisch und sortiert und erst die folgenden Tage werden zeigen, wie viel tatsächlich hängen geblieben ist. Doch daran möchte ich jetzt noch nicht denken.
Es ist faszinierend, was in diesem ersten Modul passiert ist. Fünfzehn Menschen haben aus verschiedenen Beweggründen ihren Weg in die Akademie gefunden, ein roter Faden, der uns alle verbindet und der letzten Endes auch zu einer schnellen Bindung geführt hat. Schon nach wenigen Stunden wurde mir klar, dass man sich einen Vertrauensvorschuss geben muss, sonst funktioniert die Ausbildung nicht. Ab der ersten Übung mussten wir uns öffnen, um lernen zu können. Und jede einzelne Person hat es zugelassen. Ich habe es zugelassen. Vielleicht waren Zweifel da, die mich abhalten wollten, zu offen zu sein. Doch ich habe diese Stimme ausgeblendet und mich fallen gelassen, so gut es ging. Und darüber bin ich froh. Ich habe mehr in mich selbst hineinhören und reflektieren können über meine Worte. Neue Denkanstöße sind sehr präsent und ich habe schon einige Bücher heruntergeladen, die mir dabei helfen sollen, Klarheit zu schaffen oder Blockaden zu lösen. Gleichzeitig habe ich meine Kursteilnehmer besser kennenlernen dürfen, sie bei ihrem Lernprozess beobachtet und hieraus für mich Rückschlüsse und Anstöße gezogen. Das Beobachten der anderen hat mir genauso viel gegeben, wie das beobachten meiner selbst. Wow.
Und, was für mich absolut unbegreiflich ist und unvorhersehbar war: Schon am ersten Tag habe ich im Übungssetting meine Kollegen gecoacht. Sie haben mich gecoacht. Schon nach dieser kurzen Zeit habe ich meinen Werkzeugkoffer erweitert, habe grundlegende Methoden kennengelernt und in Übungen angewendet. Ich weiß, wie ich Klienten anregen kann, ihre Ziele zu definieren und zu lösen. Wenn auch mit limitiertem Werkzeug. Trotzdem, damit hatte ich nicht gerechnet. Die Vorstellung, nach einem ganzen Jahr an Lernen und Ausprobieren selbst die Rolle eines vollwertigen Coaches auszufüllen, ist nicht mehr ganz so fernab der Realität, wie noch vor drei Tagen.
Mir ist aber auch bewusst, wie viel noch auf mich zukommen wird. Was vermeintlich einfach wirkte, weil unsere Trainerin so elegant gelassen in ihrer Vorführung war, entpuppte sich als waschechte Herausforderung. Ich wusste nicht wie schwer es sein kann, einfache Fragen zu stellen. Es war beinahe frustrierend, wenn man irgendwie glaubte zu wissen, wohin man in einer Übung wollte, es einem aber trotzdem nicht gelang, ohne zu stocken, stoppen und sich fragend umzuschauen, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Und dann kam unsere elegante Trainerin um die Ecke und gratulierte uns, wie toll es doch sei, dass wir die Kompetenz bereits erlangt hatten zu erkennen, dass wir inkompetent seien. Bekannte Inkompetenz. Die Stufe nach der unbekannten Inkompetenz. Ein Zeichen dafür, dass wir uns bereits weiterentwickelt hatten, in der Evolution einen Schritt weiter waren. Und obwohl wir erst einmal alle darüber lachen mussten, als inkompetent betitelt zu werden, löste es einen Knoten in mir. Es war immerhin Modul 1. Wieso erwartete ich bereits hier, die neuen Methoden zu beherrschen und perfekt anzuwenden? Ja ja, wir lernen wohl nie aus.
Nun haben wir mehrere Wochen Pause, gefüllt mit Hausaufgaben und Anregungen, das Gelernte in die Praxis zu übertragen. Ich bin gespannt, wie viel ich bewusst, vielleicht aber auch unbewusst, anwenden werde. Just in diesem Moment möchte ich mich aber nur auf die Couch legen, den TV einschalten und die letzten Stunden des Wochenendes mit Nichtstun füllen, bevor der Wecker morgen früh erneut klingelt und die Inbox auf mich wartet.