Mein Notizbuch war mein treuster Begleiter. Egal wo ich hinging, es klemmte unter meinem Arm oder war in meinem Jutebeutel verstaut. Jede Seite wurde zu einem Souvenir kleiner Momente und Situationen. Freunde verewigten sich auf Doppelseiten, malten, schrieben oder kritzelten Mementos, die mir heute noch ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Damals war es immer grün. Wir nannten es Das Grüne Buch. Wirklich.
Über die Jahre sammelten sich Notizbücher über Notizbücher in Farben des Regenbogens an, Bildnisse vergangener Jahre. Das Leben einer jungen Erwachsenen. Jemandem, der auf der Suche war. Nach Liebe, Lebensfreude, Abenteuer und dem Sinn. Wenn ich auf mein junges Ich zurückblicke wird mir schwer ums Herz. Vielleicht ist es der normale Lauf der Dinge, Melancholie gehört eben dazu. Damals war alles anders. Damals war ich anders.
Erwachsenwerden. Traum und Fluch zugleich. Seit ich denken konnte habe ich dem Erwachsenwerden entgegengefiebert. Ich konnten nicht schnell genug 18 werden. Es war eine magische Zahl, als würde mein Leben erst dann wirklich anfangen. Alles davor war nur der Vorspann und wenn ich gekonnt hätte, hätte ich direkt zum Beginn des Filmes vorgespult. Was für ein Versäumnis das gewesen wäre.
Die Jahre davor waren groß. Wenn ich heute durch die Seiten blättere, ist es, als würde ich eine Zeitmaschine betreten. Ich werde zurückkatapultiert. Viele Gedanken, die ich auf Papier festgehalten hatte, fühlen sich noch so frisch an, ganz nah. Damals war alles so viel intensiver. Jede Emotion hatte eine Schwere, ich konnte sie nur verarbeiten, wenn ich sie von mir geschrieben hatte. Vielleicht, weil die Zeit des Erwachsenwerdens geprägt ist von ersten Malen. Heute ist es schwer vorstellbar, man hat fast alles schon einmal so ähnlich durchlebt oder zumindest von außen beobachtet. Gebrauchsanleitungen für Gefühl und Situationen sind abgespeichert in den Tiefen der Erinnerungen und Erfahrungen. Damals war es anders. Kleinigkeiten konnten die größten Wellen schlagen und es blieb einem nichts übrig als sich auf den Aufprall gefasst zu machen.
Manchmal vermisse ich es. Tagträume nahmen mich ein und die eigene Zukunft veränderte sich von einem Tag auf den anderen, geprägt von den vielen Emotionen, die ich am Vortag gefühlt hatte. Situationen wurden Bedeutungen zugeschrieben, denen ich heute nicht einmal Beachtung schenken würde. Es ist nicht mehr genug Zeit da, um sich der Melodramatik hinzugeben. Das eigene Leben romantisieren. Leid empfinden, so groß und schwer, dass es mich zu zerreißen scheint. Manchmal ist das alles, woran ich denken kann. Erinnerungen, an eine Zeit, die weit weg und doch nahbar ist.
♪ Meet me at our space LIVE – The Anxiety
❝ My Body – Emily Ratajkowski