Der wunderbare, goldene Oktober neigt sich dem Ende und der Monat November fühlt sich fast greifbarer an. In den letzten Tagen habe ich viel über einen möglichen Beitrag nachgedacht, viele Gedanken dazu schwirrten in meinem Kopf. Es fühlte sich fast an wie in einer Sommernacht, in der Mosquitos meinen Geruch wahrgenommen haben und nicht mehr von mir ablassen können, ein ständiges Sausen um die Ohren. So erging es mir. Und in Gedanken habe ich geschrieben, und überlegt, und überarbeitet. Und nun sitze ich hier und wringe mit den Worten, die auf dem Monitor nie so schön und blumig wirken, wie in meinem Kopf. All die grandiosen Metaphern sind passé und zurück bleibt ein etwas stumpfes Ich. Doch lasst es mich versuchen.
Es ist zu früh, um das Jahr revue passieren zu lassen. Das Jahresende ist noch nicht ganz eine Armlänge entfernt, etwas Zeit bleibt noch. Der Neujahrssekt befindet sich auch noch im Supermarkt um die Ecke. Wieso also schon über etwas reden, was noch gar nicht passiert oder abgeschlossen ist? Und doch fühlt es sich jetzt gerade in diesem Moment nach dem richtigen Zeitpunkt an. Vielleicht, weil dieses Jahr so voll mit Lektionen war, dass es für mehr als nur ein Jahr reicht. Vielleicht platze ich, wenn ich es nicht jetzt niederschreibe. Vielleicht schaffe ich es aber auch nur heute, wirklich nur heute, in Worte zu fassen, was mich schon lange bewegt. Ich muss meinen Kokon loswerden.
Die vergangenen Jahre sind ein verschwommenes Bild an Erfahrungen und schönen Momenten, und doch liegt auf allem ein Film. Er ist grau, schmierig – vielleicht sogar fettig – und lässt alles weniger brilliant erscheinen. Die Fotos sind matt, Fingerabdrücke an den Ecken und ein undefinierbares Gefühl kommt einem beim Anblick hoch. Heute fällt es mir schwer zu erklären, woran das liegt. Es ist ja schon eine Weile her, die Gefühle nicht mehr frisch, die Eindrücke abgestanden. Doch die Grundstimmung ist noch erkennbar. Und genau mit dieser bin ich auch in dieses Jahr gestartet. Die Hoffnung, dass alles besser wird, war natürlich trotzdem da. Ein neues Jahr bringt dies so mit sich. Neues Jahr, neues Glück. Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn ich in meinem Notizbuch nach Einträgen des ersten Quartals suche, stoße ich auf Vorfreude und Zuversicht, die sich innerhalb weniger Wochen zu der üblichen Tristesse verändert. Aus dem überschwänglichen “Ich glaube, ich habe den Code geknackt und kann jetzt glücklich sein” wurde schnell ein “Here we go again”.
Ich glaube jeder Mensch versucht in diesem Leben seinen Weg zu finden. Doch das ist selten leicht. Es gibt so viele Optionen und Möglichkeiten, so viele Türen, die in unterschiedliche Zukünfte führen. Ist es da nicht normal, dass man die Orientierung verliert, falsch abbiegt oder keinen Ausweg aus einer Sackgasse findet? Die Kunst ist es dann wohl, zu wissen wie man damit umgeht. Und das wusste ich nicht. Denn all die Bücher, die ich gelesen habe, all die Videos und Podcasts und Artikel, haben mich zwar zum Denken angeregt, doch das Gelesene/Gehörte in die Tat umsetzen ist eine ganz andere Geschichte. Die Theorie kann noch so schlüssig klingen, oft fehlt einem das nötige Werkzeug, um auch handeln zu können.
(Genau deswegen habe ich mir erlaubt jemand anderen, der über dieses Werkzeug verfügt, zu Rate zu ziehen.)
Die letzten zehn Monate waren wohl die lehrreichsten meines bisherigen Lebens. Ich habe mich selbst neu kennengelernt, zurückgefunden zu Erkenntnissen, die ich einmal hatte, die aber auf dem Weg des Versuchens verloren gegangen sind.
Wer bin ich eigentlich? Eine Frage, die krass angsteinflößend sein kann! Ich kann sie immer noch nicht zu hundert Prozent beantworten. Ich befinde mich aber auf einem Weg, auf dem mir Tag für Tag etwas klarer wird. Das Bild wird schärfer und das Puzzle vervollständigt sich. Langsam, aber stetig.
Ich habe hart an mir gearbeitet. Durch harte Selbstreflexion. Ich bin in mich gegangen und habe mir Fragen stellen müssen, denen ich zuvor jahrelang geschickt ausgewichen bin. Reflexion ist schön und wichtig, doch es ist nicht immer ein spaßiger Ausflug. Viel häufiger fühlt es sich an wie ein Kampf mit dem eigenen Ich. Wie ehrlich sind wir zu uns selbst? Wie oft verschönigen wir etwas bewusst, um uns Schmerz oder Schaden zu ersparen? Oft. So oft. Doch es war an der Zeit sich alldem zu stellen. Denn die Alternative war noch viel schmerzlicher. In der Tat, wenn nicht jetzt, wann dann? Augen zu und durch.
Ich hatte mich wohl selbst verloren. Es fiel mehr schwer zu unterscheiden zwischen richtigen Interessen und Dingen, die nur interessant klangen. Im Spiegel nicht mehr sein Spiegelbild erkennen zu können war neu. Der Alltag hatte mich in eine Routine rutschen lassen, indem ich nur geradeaus zu rennen wusste. Ich war in einem Hamsterrad gefangen und meine Beine konnten noch so sehr schmerzen, es ging nur nach vorne. Das war die einzige Option. Erschöpfung nahm irgendwann überhand, die Knie wurden weich und der Sturz umso heftiger. Und auch wenn es in dem Moment selbst nicht schlimmer hätte sein können war das wohl der Schlüsselmoment, der mich dazu angeregt hatte, alles in Frage zu stellen und den Heimweg anzutreten. Zurück nach Hause. Zurück zu mir und meinen Werten, Träumen und Bedürfnissen.
Meine Reise war durchzogen von Aha-Momenten. Ich lernte erneut, was mich ausmacht, worin ich gut bin und was ich wirklich will. Der Versuch, hierfür Worte zu finden ist schwer. Den Versuch schwarz auf weiß zu lesen zeigt mir erneut, dass es mir misslingt. Der Prozess war so viel komplexer und nervenaufreibender als ich zu erklären weiß.
Es ist wunderbar und angsteinflößend zugleich, ein Bild vor Augen zu haben, das einem eine Zukunft aufzeigt, die realistisch und verträumt zugleich ist. Doch genau das habe ich erarbeitet und für mich geschafft (!!!). Festzustellen, dass man gar nicht so weit von dem eigenen Ideal entfernt ist, ist noch viel verrückter. Fast zu schön, um wahr zu sein. Vielleicht ist genau das aber auch das, was das Leben ausmacht. Das Eine kann nicht ohne das Andere. Vielleicht musste all das Übel erst einmal über mir wüten, bevor es vorbeiziehen konnte um Platz für etwas Sonnenschein zu schaffen.
Das wurde mir so zumindest ans Herz gelegt und daran möchte ich unbedingt glauben. Selbstliebe, und so.
Letztendlich liegt es nun an mir und mir alleine. Der Weg ist das Ziel und nicht erneut auf Abwege zu geraten bleibt mir überlassen. Und hier sind wir wieder bei der Frage des Wies. Der Weg ist die Herausforderung. Aber der Weg ist auch das, was das Leben ausmacht. Hier wachsen wir über uns hinaus, lernen uns und andere kennen, fallen und stehen wieder auf nur um wieder hinzufallen. Eine Gebrauchsanweisung gibt es nicht. Doch wir wissen hoffentlich, wofür wir das alles tun, was uns antreibt, was wir uns erfüllen wollen. Und vielleicht wird dies zu unserem eigenen Wegweiser, den man vielleicht kurz aus den Augen verliert, der aber nach einem tiefen Atemzug wieder strahlend aufleuchtet und uns zeigt, wo es lang geht.