Beziehungen, Freundschaften, Liebschaften sind schon ein merkwürdiges Konstrukt. Ein Konstrukt basierend auf gegenseitiger Zuneigung, einer Verbindung zwischen einander. Und egal wie viele solche Konstrukte im eigenen Leben einen Platz eingenommen haben, sie unterscheiden sich alle von einander, sind individuell, bunt und nicht miteinander zu vergleichen. Unzählige Meinungen darüber wurden veröffentlicht und geteilt und jede einzelne Perspektive hat etwas Wahres an sich. Wie kann das sein, wenn die Ansichten doch so verschieden sind?
Freundschaften waren nie einfach für mich. In mir herrschte eine Sehnsucht nach Verbundenheit, nach einem Jemand, der mich versteht und sieht und schätzt, für all das, was ich bin. Große Freundschaften aus Film und Text waren meine Inspiration und wurden zu einer Vorlage, die ich eins zu eins in die Realität übertragen wollte. Es dauerte Jahre und einigen Herzschmerz bis ich begriff, dass Beziehungen, egal welcher Art, selten den von Mensch geschaffenen Ideen entsprachen. Doch ich hielt daran fest – egal wie weh es tat, egal wie viele Niederlagen mich deswegen erwarteten – als wäre es das einzige, was mich am Leben hielt.
Während der Pandemie wurden wir alle auf die Probe gestellt. Neben all dem Chaos, welches das New Normal auszumachen schien, kam auch die Frage um Beziehungen auf. Wie pflege ich etwas, was nicht mehr greifbar und in unmittelbarer Nähe ist? Genauso, wie eine Pflanze vor mir stehen musste, um sie zu wässern, hatte ich mich an die physische Nähe von Personen gewöhnt, um Freundschaften am Leben erhalten zu können. Distanz wurde uns dann aber aufgezwungen und es lag nun an uns, herauszufinden, wie man sich trotzdem nicht voneinander entfernt. Gar nicht mal so einfach. Und doch ist es jetzt, wenn ich auf die Zeit zurückblicke, ein versteckter Segen gewesen. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu überlegen, wer diejenigen Menschen in meinem Leben waren, auf die ich nicht verzichten möchte. Vielleicht sogar nicht verzichten kann. Vor Covid befand ich mich in einer Schleife, in der ich verzweifelt versucht hatte, kontaktfreudig und extrovertiert zu sein. Ein Nein war keine Option, wenn es um Pläne und Verabredungen ging. Ich wollte noch mehr Leute kennenlernen, noch mehr Freundschaften schließen und Kontakte knüpfen. Zu jedem und allem. Unterbewusst war mir die ganze Zeit klar, dass ich das nicht wirklich wollte, dass mir diese Verbindungen nicht das gaben, was ich eigentlich suchte. Doch ich täuschte mich selbst und schwamm auf einer Welle der Reizüberflutung, umgeben von Gesichtern, die ich zwar erkannte aber nicht kannte. Bis ein Riegel vorgeschoben wurde, das Wasser versiegte und ich alleine auf dem Grund ankam, alle Viere von mir gestreckt.
Dann war da nur noch ich. Und die Erinnerungen an all die Menschen, mit denen ich die letzten Monate verbracht hatte. Was blieb war die Ernüchterung. Ich möchte nicht sagen, dass ich Zeit verschwendet hatte, doch mir wurde klar, dass ich an den meisten Bekanntschaften nicht festhalten konnte. Ich wollte das auch gar nicht. Über die ersten Wochen der Pandemie und des gefühlten Hausarrests lernte ich mehr und mehr, wem ich gerne eine Sprachnachricht schickte, wem ich erst Tage später antwortete und wen ich ganz ghosten wollte (es aber nicht tat, weil ich Ghosten uncool finde). Es war fast ein Befreiungsschlag. Endlich sah ich ganz klar und deutlich, wer so tief in meinem Herzen verankert war, dass auch Distanz die innere Nähe nicht mindern konnte. Und die Tatsache, dass das gar nicht so viele sind, tat nicht mehr weh. Ich war erleichtert darüber. Und ich war noch viel erleichterter, als das Gefühl von Gegenseitigkeit da war. Was könnte es schöneres geben?
Meine Vertrauten konnte ich an einer Hand abzählen und bis heute hege ich zu 80% eine enge Freundschaft. Eine Person musste ich ziehen lassen, auch wenn es fast ein Jahr gedauert hat, um es mir einzugestehen. Manchmal muss man akzeptieren, dass Menschen nur für einen kurzen Augenblick in das eigene Leben getreten sind. Aber das ist ein Thema für eine andere Konversation.
Heute schwebe ich auf Wolke sieben, weil mir erneut vor Augen geführt wurde, wie schön es ist, Menschen im Leben zu haben, die einfach perfekt hinein passen. Egal wie weit man von einander entfernt ist, wie selten man tatsächlich voreinander steht, die Bindung kann existieren, sich vertiefen und einem so viel geben.
Während ich früher dachte, Freundschaften wären nur möglich, wenn man jede frei Sekunde miteinander verbringt, sehe ich es heute ganz anders. Ja, es ist wunderbar, gemeinsam Zeit zu verbringen, das Lachen des Gegenübers als Reaktion auf die eigenen Worte zu erleben, sich umarmen zu können, die Köpfe zusammenstecken, um sich etwas zuzuflüstern. Doch wir Leben mittlerweile in einer ganz anderen Welt. Wir sind miteinander vernetzt und können dadurch am Leben des anderen teilnehmen, ohne vor Ort sein zu müssen. Lebenssituationen verändern sich, Wohnorte werden gewechselt, was bleibt ist das Smartphone, das nicht nur sinnloses Scrollen ermöglicht, sondern auch ein virtuelles Sprachrohr zu den Liebsten.
Wir leben alle unser Leben, haben unsere eigenen Probleme, unseren eigenen Fokus. Wir versuchen, für einander da zu sein und kleine Momente mit Beistand zu füllen. Es ist anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Doch es ist zu etwas geworden, was ich nie missen möchte. Mit jeder einzelnen Freundin habe ich eine Routine entwickelt, entsprungen aus den Lebensumständen und Gegebenheiten. Mit jeder einzelnen habe ich eine bestimmte Art der Kommunikation gefunden, die für uns funktioniert und die mich festhalten lässt an der Person und der Beziehung.
Ich nutze schon lange nicht mehr den Begriff Beste Freundin/Bester Freund. Es ist zu sehr eine Anekdote des Vergangenen geworden, Beziehungen, die es nicht ins Hier und Jetzt geschaffen haben und die Teil einer Ära sind, die ich mit einer Version meiner Selbst in Verbindung bringe, mit der ich mich nicht mehr identifiziere. Ich bin dem Begriff entwachsen. Freundschaften sind nicht mehr etwas exklusives, etwas, wo nur zwei Personen Platz haben und sich aufhalten dürfen. Wenn ich müsste, würde ich all meine engsten Vertrauten meine besten Freunde nennen. Denn es sind diejenigen, mit denen ich mich gerne unterhalte. Es sind diejenigen, die mir eine Schulter zum Weinen anbieten. Es sind diejenigen, an die ich immer wieder denke, auch wenn es keinen klaren Grund dafür gibt.
Wenn ich meinem jüngeren Ich von meinem heutigen Freundeskreis erzählen müsste, wäre das gar nicht so einfach. Ich würde ihr sagen, dass sie sich nicht so viele Sorgen machen soll, dass sie tolle Menschen kennenlernen wird. Ich würde ihr sagen, dass die Kommilitonin, die so cool und angsteinflößend wirkte, nicht nur eine kurze Komparsenrolle spielen wird, sonder auch bei unserer Hochzeit dabei sein wird und trotz örtlicher Distanz diejenige ist, die ich als erstes kontaktiere, wenn ich etwas zu teilen habe. Ich würde ihr sagen, dass Arbeit nicht nur Arbeit ist, sondern auch ein Ort, an dem ich immer wieder Freundschaften gefunden habe, die Bestand haben. Und ich würde ihr erklären dass es ok ist, Menschen weiterziehen zu lassen, auch wenn es weh tut. Die Erinnerungen bleiben. Und was das für tolle Erinnerungen sind!