Ich laufe gerade durch Amsterdam, habe noch etwas Zeit, bevor ich zurück ins Hotel muss um meinen Koffer abzuholen und zum Flughafen zu fahren, und natürlich schlendere ich da durch meine Lieblingsgegend – Spui – und besuche die vielen Bücherläden, die hier an jeder Ecke zu stehen scheinen. Ein bestimmtes Buch ist schon lange auf meiner Leseliste, dass jetzt eine neue Ausgabe mit wunderbarem Cover herausgekommen ist, lässt mich auf die Jagd danach gehen. Und ich finde es, in alter, optisch nicht so hübscher Form. Noch nie hatte ich es in die Hand genommen, einfach weil nie die Ausgaben vorrätig waren, die mir gefallen. So viel zum Thema Don’t judge a book by its cover. Jetzt habe ich aber noch genug Zeit und nichts zu tun, der ideale Zeitpunkt um reinzulesen. Und auf Seite 14 trifft mich der Schlag! Das ist mein Name, der Name meines Charakters, des Charakters, den ich vor wenigen Wochen erst zum Leben erweckt habe. Mist.
Hätte ich dieses Buch schon eher in die Hand genommen, wäre mir dieses Erlebnis erspart geblieben. Ich hatte keine Ahnung und fühle mich dennoch wie ein Plagiator. Als ich nach einem passenden Namen gesucht hatte, öffnete ich wie so oft ein digitales Wörterbuch, gab ein Wort ein, dessen Bedeutung passend erschien und suchte in verschiedenen Sprachen nach einer Übersetzung, deren Klang mir gefiel. Und ich wurde fündig. Dass sowohl Vor- und Nachnamen übereinstimmten, war ein weiterer Zufall. Ich kann es ja selbst kaum fassen, kein Wunder dass es dann so erfunden klingt.
Ich sitze also da, so erschrocken, dass die Dame gegenüber irritiert zu mir schaut. Schnell wende ich den Blick ab und schaue aus dem Fenster und hoffe dass ich so wirke, als wäre ich ganz in meine Gedanken vertieft. Was ja auch zutrifft. Ich habe eine Figur geschaffen, die den Namen einer fiktiven Person trägt, die von vielen geliebt wird. Davon gehe ich zumindest aus, ich habe das Buch ja noch nicht gelesen. Vielleicht ist es auch eine abscheuliche Person. Ich werde es früher oder später herausfinden. [Nach dem Schock habe ich sofort eine Bestellung aufgegeben. Das Cover ist letztendlich nur meine zweite Wahl, wurde aber dafür sofort verschickt. Kompromisse!!!]
Ist es in Ordnung, einen Namen zu vergeben, der bereits vergeben ist? Hat es irgendwelche Folgen, mit denen ich nicht konfrontiert werden möchte? Ich weiß es nicht. Einer meiner Gedanken ist, dass andere es als Kopie ansehen können. Dagegen spricht, dass ich meine Geschichte für mich schreibe, ich bin also die einzige Person, die mich als Kopie abstempeln kann. Dieses Argument kann ich dann eigentlich von der Liste streichen, oder? Ein anderer Gedanke ist, dass meine Ausführung der Figur beeinflusst werden könnte. Spätestens wenn ich das Buch gelesen habe, kenne ich die Geschichte des Namensvettern. Schleicht sich dann automatisch etwas von dieser fremden Person in die eigene? Ohne genau zu wissen, worum es geht und mit den 14 Seiten dieser Geschichte im Hinterkopf würde ich sagen „Nein, unmöglich“. Es sind Männer unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Lebensumstände und aus Welten stammend, die nichts miteinander zu tun haben. Trotzdem ist die Angst da, dass meine neue, rohe Person im Vergleich zu der perfektionierten, ausgearbeiteten Person flach erscheint, langweilig, ja vielleicht sogar schlecht. Ich ziehe einfach zu gerne Vergleiche. Wird das auch bei der Schaffung neuer Persönlichkeiten passieren oder arbeite ich mit dieser gedanklichen Analyse bereits aktiv dagegen? Puh, ich weiß es nicht.
Ich hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, die Person umzunennen. Aber nein, das passt nicht. Ich war mit einem Ziel an die Suche gegangen und es hatte Klick gemacht, als ich über die Worte gestoßen bin, die sich schließlich zu einem Namen hatten zusammensetzen lassen. Es fühlte sich falsch an, ihn anders zu nennen, als würde ich einen Teil seiner Persönlichkeit streichen. Deswegen bleib ich dabei. Ehrfürchtig und ängstlich, aber so ist es dann eben. Mal sehen, was passiert. [To be continued…?]